INTERVIEW MIT MATHIEU AMALRIC
War die Schwere oder die innewohnende Langsamkeit des Stoffes Ihrer
Stendhal- Adaption von „Schwarz und Rot“ der Auslöser für
den schnellen Dreh von DAS
BLAUE ZIMMER?
Nein, das lag einfach daran, dass ich beim Dreh von „Venus im Pelz) von
Roman
Polanski Paulo Branco auf der Straße getroffen habe. Branco spürte,
wie ein Wahrsager,
dass ich für Stendhal Jahrhunderte brauchen würde. Das berührt
einen sehr,
wenn jemand zu einem sagt: „Mach was, dreh einfach! Willst Du nicht einfach
etwas
in drei Wochen erzählen?“ Zuhause suchte ich nach einem Stück,
und da war‘s. Wir
haben alle ein Buch von Simenon, dass wir mal in einem Ferienhaus von jemandem
gelesen haben. Ich weiß nicht mehr, von wem ich es habe, von wem ich es
geklaut
habe. Das Buch hatte ich bereits für „Tournée“. Im Drehbuch
hatten wir die letzte
Szene „Im blauen Zimmer“ genannt und da waren: Ein Mann und eine
Frau in einem
Hotelzimmer, nach dem Liebemachen. Was bleibt im Leben letztendlich außer
zwei
Körper, die voneinander angezogen sind?
Es ist überraschend, dass DAS BLAUE ZIMMER auf „Tournée“ folgt.
Es hätte hätte
auch ein Film sein können, der das Gegenteil des quasi dionysischen Films „Tournée“
wäre, der das Loslassen und die Bewegung rühmt.
Daran habe ich überhaupt nicht gedacht. Es ging eher um den Roman, der mich
schon seit langem verfolgte, von Simenon, der voller Tempo schrieb. Das lud mich
dazu ein, selbst schnell zu drehen.
Was mir auch gefiel, war die Vermischung von heiß und kalt, und was Männer
verrückt
macht: eine undurchschaubare Frau. „Ich hielt sie irrtümlich für
eine kalte,
hochmütig Frau, für eine Statue.“ Da öffnen sich die Abgründe
der Sexualität und
der Anziehung, die unaussprechlich sind. Das ist das Faszinierende an Simenon,
dass
er dazu gezwungen war, alles in Worte zu fassen.
Als Simenon den Roman 1963 im schweizerischen Epalinges schrieb, war er in einer
Phase der permanenten Selbstzerfleischung nach dem Motto „Frauen sind alle
Hexen,
ich hätte das nicht tun sollen.“ Es ist ein Roman, der Sexualität
bestraft – oder
seine eigene überbordende Sexualität. Und das versuchte ich mit Stéphanie
Cléau,
mit der ich den Roman adaptierte, auszuradieren.
Daneben gab es das einfache Vergnügen am „Whodunit“, wer tötete
wen? Wer ist
tot? Und von da aus rückwärts zu gehen.
Genau diese komplexe Erzählstruktur, die wie ein Mosaik erscheint, trägt
wohl
nicht dazu bei, den Film in einer kurzen Zeit zu machen, besonders beim Schnitt.
Bereits als wir das Drehbuch mit zwei Spalten schrieben, wollten wir, dass Ton
und
Bild im Krieg miteinander stehen, was zu einer besonderen Erzählform führt.
Deshalb
schaffte ich es, die meistmögliche Zeit fürs Schneiden zu haben.
Da
wir in zwei
Teilen im Juli und November drehten, ermöglichte der Zeitplan, dass wir
dazwischen
mit dem Schneiden anfangen konnten.
Vor allem mussten wir im Vorfeld arbeiten, mit einer guten Vorbereitung. Dabei
war die Ermittlungsakte eine große Hilfe, wir habe eine echte Akte erstellt,
die wir
mithilfe von forensischen Wissenschaftlern aktualisierten, im Vergleich zu dem
was
1963 möglich war.
Wann entschieden Sie sich für das 1:1,33 Format?
Ein Format, das die Amerikaner
das klassische Seitenverhältnis nennen, das in Vergangenheit geraten war,
bevor
Gus Van Sant mit „Elephant“ und Wes Anderson mit „The Grand
Budapest Hotel“
es wiederbelebten.
Das war sehr früh. Im BLAUEN ZIMMER geht es um einsame und verhinderte Charaktere.
Ich wusste, dass es keine Kamerabewegungen geben würde, die sie miteinander
verbinden könnte. Sogar in den Liebesszenen, wo wir uns eher Erinnerungen
hingeben als uns auf sinnliche Erlebnisse einzulassen. Da gibt es weder Sinnliches
noch Zärtlichkeit, das lässt keine Virtuosität zu. Die Rundumblicke
sind nicht angebracht,
wenn die Atmosphäre so frostig ist.
Nicht jeder benutzt es zu diesem Zweck, aber hier dient das 1:1,33 Format
dem Ausdruck der Isolation, des Gefangenseins.
Mit Christophe Beaucarne, dem Kameramann, fragten wir uns nach einigen
Tests, ob wie Cinemascope oder 1:1,33 nutzen sollten. Schnell landeten
wir bei letzterem.
Christophe fand, dass es das Auge reinigt. Wir leben in einer Zeit, in
der alles gestreckt wird, wir müssen uns nur die Größe der Postkarten angucken,
die jetzt
verkauft werden. Deshalb wollten wir die gegensätzliche Perspektive. Außerdem
schien Cinemascope nicht der Beziehung zu entsprechen.
Wussten Sie beim gemeinsamen Schreiben mit Stéphanie Cléau schon,
dass die
Rollen von Esther und Julien von Ihnen beiden verkörpert werden würden?
Stéphanie hat viele Romane fürs Theater umgeschrieben, sie ist überhaupt
keine
Schauspielerin, sie ist sogar das Gegenteil einer Schauspielerin – bereits
wenn sie
fotografiert wird, ist das für sie eine Qual. Und das interessierte mich.
Diese Frau,
von der wir nicht wissen, wer sie ist, sie verkörpert die Bedrohung durch
das Unbekannte.
Da ich Julien selbst darstellte, sollte die offizielle Ehefrau ebenfalls eine
offizielle Schauspielerin sein. Wenn die Geliebte ebenfalls ein bekanntes Gesicht
wäre, würde das, wie immer, eine Rivalität zwischen den beiden
Schauspielerinnen
hervorrufen, die ich nicht wollte.
Und es gab dieses Spiel zwischen uns als Paar: Wir spielen Geliebte während
wir seit
neun Jahren zusammenleben – das wieder etwas mit dem Unaussprechlichen
zu
tun. |