WINTERDIEBURSULA MEIER | REGIE2012 WINTERDIEB (SISTER | L’ENFANT D’EN HAUT) Spielfilm INTERVIEW MIT URSULA MEIER
Als ich schon länger an der Geschichte von WINTERDIEB gearbeitet
hatte, fiel mir plötzlich wieder ein kleiner Junge ein. Ich wuchs
am Fuß der Berge des Jura auf, wo es sehr normal und alltäglich
war, im Winter zum Skifahren auf die Berge hochzufahren. Da gab es einen
Jungen, der immer alleine Ski fuhr, während wir immer mit einer
ganzen Gruppe kamen. Er konnte nur sehr schlecht Skilaufen, raste aber
die Berge hinunter, als berausche ihn die Geschwindigkeit und das Risiko.
Dass er sich „dort oben“ aufhalten konnte, schien ihm großes
Vergnügen zu bereiten. Der Junge weckte meine Neugier, bis ich herausfand,
dass er verdächtigt wurde, die Besucher zu bestehlen und deshalb
Hausverbot in den Berg-Restaurants hatte. Die Angestellten der Bergstation
empfahlen uns, auf unsere Sachen aufzupassen und uns von ihm fernzuhalten.
Aber dieser kleine Junge faszinierte mich weiterhin, vielleicht weil
er so gar nicht in diese Umgebung passte und nicht aus der sozialen Klasse
kam, die sich die Skiausrüstung und Liftpässe leisten kann.
Seine Diebstähle gingen weiter, so lange, bis er nicht mehr mit
der Seilbahn in das Skigebiet fahren durfte. EIN VERTIKALER FILM Nachdem ich einen horizontalen Film gedreht hatte – „Home“ (ebenfalls
im ARSENAL FILMVERLEIH), der auf einer Autobahn spielt, eine Parallelwelt
nur wenige Meter vor dem Fenster eines Familienhauses – wollte
ich einen vertikalen Film machen, der um die beständige Bewegung
zwischen unten und oben, zwischen dem industriellen Tal und der Bergstation
oben herum aufgebaut ist. Die Verbindung zwischen diesen beiden Welten
ist die Seilbahn, die durchs Nichts von der einen die andere gleitet,
in das Licht aufsteigt, und dann wieder unter die Wolken absteigt. Oben
sind die reichen Touristen, die aus allen Ecken der Welt kommen, um auf
den schneebedeckten Pisten in der Sonne Spaß zu haben. Unten liegt
das industrielle Tal ständig im Schatten, der Schnee ist geschmolzen,
aus den Kaminen wird bald kein Rauch mehr aufsteigen und die Sozialwohnungsblöcke
liegen isoliert am Fuß der Berge. ZWISCHEN OBEN UND UNTEN WINTERDIEB erzählt die Geschichte eines Jungen, der auf jeder Ebene
nach oben will: in physischer, sozialer und finanzieller Hinsicht. Während
die Welt unten nur trostlos, schmutzig und neblig ist – sowohl
wörtlich als auch im übertragenen Sinn – gibt es oben
alles im paradiesischen Überfluss: Sonne, reinen weißen Schnee,
Geld und Glamour. Simon fühlt sich dort oben bedeutender, wo er
sich hinter den dunklen Gläsern seiner gestohlenen Skibrille verstecken
kann. Es ist, als ob er auf einer Theaterbühne stünde, eine
Rolle spielt, ein erfundenes Leben mit reichen Eltern verkörpert,
im Rampenlicht und in einem Kostüm. Unten hat er eine miese Rolle
inne, die er ohne zu murren akzeptiert, wohl wissend, dass es besser
ist, eine unwichtige Rolle bei Louise zu spielen als gar keine. HINTER DEN KULISSEN Die Geschichte handelt von einer ganzen Skisaison, von Weihnachten bis Ostern und blickt hinter die Kulissen dieser Tourismusindustrie, die ganz ernsthaft als „weißes Gold“ der Berge bezeichnet wird. Dass wir das Leben der Saisonarbeiter aus Simons Sicht kennenlernen, offenbart uns die andere Seite der Medaille. Auf diese Weise bietet WINTERDIEB einen einzigartigen Einblick in die Welt der Skiresorts, die im Kino sonst fast immer nur als Komödie oder als wunderschöne Landschaftsbilder der schneebedeckten Berge gezeigt wird. GELD Geld ist das Herzstück des Austausches zwischen den Charakteren
des Films. Banknoten und Münzen wechseln von Hand zu Hand, von den
Kindern der Ebene und den Saisonarbeitern zu Simon, von Simon zu Louise
und wieder zurück von Louise zu Simon.
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