MUCH LOVED

Regie - Nabil Ayouch

Nabil Ayouch wurde am 1. April 1969 geboren. Er lebt und arbeitet in Casablanca. 1992 drehte er seinen ersten Kurzfilm LES PIERRES BLEUES DU DESERT, mit Jamel Debbouze. 1997 seinen ersten Spielfilm MEKTOUB, gefolgt von ALI ZAOUA im Jahr 2000. Beide Filme wurden von Marokko für den Oscar eingereicht und etablierten Nabil Ayouch als Filmemacher beim marokkanischen Kino und auch weltweit. LES CHEVAUX DE DIEU, 2012, wurde für das Filmfestival in Cannes ausgewählt, MUCH LOVED ist sein siebter Spielfilm.

Nabil Ayouch inszeniert auch große Events, wie die Eröffnung der ‘Temps du Maroc’ in Frankreich im Schloss von Versailles 1999.
Er ist ebenso Produzent mit seiner Firma Ali n’ Productions, gegründet 1999, die vor allem jungen Filmemachern helfen will, Projekte zu realisieren.
Der ist Gründer von G.A.R.P. (Verband der Autoren, Regisseure und Produzenten, 2002 in Marokko gegründet) und ist der Präsident des marokkanischenVerbandes gegen Piraterie.+

Filmographie

2015 MUCH LOVED

2012 LES CHEVAUX DE DIEU

2011 MY LAND

2007 WHATEVER LOLA WANTS

2003 UNE MINUTE DE SOLEIL EN MOINS

2000 ALI ZAOUA (im ARSENAL Filmverleih)

1997 MEKTOUB


Anmerkungen des Regisseurs des Nabil Ayouch

Ihre Filme sind sehr in der gegenwärtigen Welt verankert. In MUCH LOVED nähern Sie sich dem Thema Prostitution. Warum, glauben Sie, ist das ein wichtiges Phänomen, um das heutige Marokko zu beschreiben?
Mich hat dieses Thema immer interessiert, ganz einfach, weil die Rolle dieser Frauen in der marokkanischen Gesellschaft mich beschäftigt. In "Ali Zaoua", meinem zweiten Film, ist die Mutter eines der vier Hauptcharaktere eine Prostituierte. In "Les Chevaux de Dieu" auch. Sex ist fundamental in der arabischen Gesellschaft, besonders die Frustration, die er hervorruft, lässt der Liebe nur wenig Spielraum, sich auszudrücken, sowohl im Privat- wie im öffentlichen Leben. In diesem Sinne dient die Prostitution als Katalysator - noch stärker als anderswo.

Warum ist die Frustration in arabischen Gesellschaften größer?
Ich glaube, dass es Umfelder gibt, in denen sich die Liebe besser entwickeln kann als in anderen. Und in der arabischen Welt ist es besonders schwierig. In gewissen Ländern kann man bereits verhaftet werden, wenn man nur Hand in Hand spazieren geht und es gibt Gesetze, die verhindern, dass unverheiratete Paare zusammenleben können. Die Gewohnheiten, die Zwänge und die gesellschaftliche Heuchelei sorgen dafür, dass Liebende nicht den notwendigen Raum bekommen, Erfahrungen zu sammeln. Denn Liebe lässt sich lernen, das ist ein Gefühl, das unterstützt werden muss, nicht unterdrückt. Man muss durch verschiedene Phasen durch, um sich kennenzulernen. Wenn man die nicht ausleben kann, kann man sich nicht lieben und die Frau findet sich der Rolle der Gebenden wieder, als diejenige, die sich um den Mann kümmert und die Kinder großzieht, aber keine Gefährtin ist.

Wie haben Sie Zugang zum Alltag der Prostituierten gefunden?
Nach Jahren des Interesses, der Befragungen von Prostituierten in der arabischen Welt wollte ich etwas Tiefergehendes machen, um dieses Milieu zu erkunden. Ich habe zunächst zwei Tage lang Prostituierte in Marrakesch getroffen. Ich erwartete überhaupt nicht, dass sie mit mir reden würden, aber das Gegenteil war der Fall: mir wurde klar, dass sie ein großes Bedürfnis haben, sich mitzuteilen, sich zu öffnen, sich alles von der Seele zu reden. Und wie wichtig es ist, dass sie gehört werden. Was sie zu sagen hatten, war so stark, so prägnant, dass ich sie unbedingt wiedertreffen wollte. Damit schlug ich eine Bresche, die dazu führte, dass ich anderthalb Jahre lang zwischen 200 und 300 junge Frauen traf und interviewte.

Beim Sichten von MUCH LOVED fällt auf, dass Sie uns etwas zeigen, ohne dabei anzuprangern oder überzeugen zu wollen.
Ich möchte auf keinen Fall moralisieren, verurteilen oder ein Werturteil, sei es negativ oder positiv, abgeben. Ich möchte nur etwas aussprechen. Und das bedeutet, es zu zeigen. Das Leben der Prostituierten zeigen, ihre Beziehungen zu den Männern zeigen, ihr Verhältnis untereinander, zur Gesellschaft, die Scheinheiligkeit der Gesellschaft und in der Familie, die sie eigentlich unterstützen sollte, woran es aber in Wirklichkeit total mangelt. Ich wollte diese Realität, fernab der Mythen, zeigen. Ohne Zurückhaltung, ohne Abstriche und ohne falsche Scham. Den Schleier von diesem Geschäft zu lüften bedeutet, jedem seine Verantwortung, die alle nicht sehen wollen, klar zu machen.

Wie haben Sie die gewalttätigen Reaktionen erlebt, die Ihr Film in Marokko nach der Premiere in Cannes ausgelöst hat?
Diese Reaktionen haben mich zutiefst schockiert und mir die Augen geöffnet für die latente Gewalt, die verborgen da war und die nur einen Auslöser benötigte, um sich Luft zu verschaffen. Dass es ein Film schafft, mit filmischen Mitteln eine solche Debatte über ein gesellschaftliches Thema dieser Größe zu eröffnen und dass diese Debatte dann verweigert wird... Das ist wirklich schockierend. Genauso wie die Unfähigkeit, sich selbst im Spiegel anzusehen und dann lieber gegen den Hass vorzugehen, den Bann, den Rassismus, die verbale Gewalt, die Todesdrohungen. Hysterisch und unbegreiflich, genau wie diese vorweggenommene Zensur, da sie meinen Film noch nicht einmal gesehen hatten, nur einige aus dem Kontext gerissenen Auszüge. Aber Marokko ist ein Land der Unterschiede, der Paradoxe. Viele Menschen haben mich in diesem Streit unterstützt. Sie haben ein großes Interesse gezeigt, die Fesseln zu sprengen, diese Heuchelei, die uns tötet, zu beenden und haben mich bei diesem wirklich ernsthaften Kampf für die Meinungsfreiheit begleitet. Heute möchte ich die Hoffnung behalten und, selbst wenn es nicht einfach ist, denn die Fundamentalisten sind stark, weiterhin dafür kämpfen, dass mein Film eines Tages sein marokkanisches Publikum finden kann.