Gordos - Die Gewichtigen

Anmerkungen des Regisseurs

„Ein Film über Dicke“, das ist die erste Anmerkung, die ich dazu in einem meiner Notizbücher finden kann. Ich notierte es im Zug. Mir gefällt es, in Zügen zu schreiben und nachzudenken. Und danach schrieb ich den Titel, in großen prallen Buchstaben: GORDOS. Ein wohlklingender und überzeugender Titel. Ein Film, dessen Titel alles erklärt.

Seit jener Notiz sind drei Jahre vergangen. Drei Jahre, in denen mein unschuldiges Vorhaben entschwunden ist, oder besser gesagt, sich angereichert hat. Denn den zehnmonatigen Dreharbeiten zum Trotz, welche den körperlichen Veränderungen einiger der Protagonisten geschuldet waren, ist Gordos kein Film über die körperliche, sondern über die emotionale Fettleibigkeit. Was die Protagonisten dick macht, sind weder Pizza, noch Eis oder Hamburger. Was sie in Wirklichkeit dick macht, sind die Dinge, die ihnen widerfahren und die sie nicht verdauen können. Die Besessenheit ist nur eine Metapher für all das, was wir tagtäglich mit uns herumschleppen, was in unserem Inneren weiter wächst und was uns so schwer fällt, auszudrücken, wahrzunehmen und zu akzeptieren.

Also, was ist GORDOS? GORDOS ist ein Spiel, bei dem der Zuschauer erraten muss, wer sich hinter (oder in) der Figur versteckt. Wir spielen alle eine Rolle. Wir schaffen einen Charakter, der uns zu überleben hilft und der sich in den meisten Fällen gegen unsere eigene Freiheit stellt. Wir sind es gewöhnt, den ganzen Tag zu schauspielern. In diesem Film versuchte ich, die Person hinter jeder Figur aufzudecken. Und die Aufgabe des Zuschauers ist es, Szene für Szene, die vielen schützenden Schichten abzutragen, hinter denen sich die Protagonisten verstecken. Den Panzer abzunehmen, der vor äußeren Aggressionen schützen soll. Das Ziel ist, diesen „Betrüger“ zu entlarven, der sich im Grunde nur selbst betrügt. Die richtige Dosis von notwendigem Betrug und obligatorischem Spiel, um überhaupt leben zu können (und das Leben ein wenig zu genießen).

Und was ist GORDOS: eine Komödie oder ein Drama? Ich weiß es nicht. Gut, ich weiß es. Es ist beides. Weil ich glaube, dass eine (gute) Komödie nur funktioniert, wenn sie auf einer sehr soliden Dramatik basiert. Mein höchstes Ziel als Drehbuchautor und Regisseur ist es, einen natürlichen Übergang vom Drama zur Komödie, von der Emotion zum Lachen und von der Unverschämtheit zur Zärtlichkeit zu finden.

Ich mag Widersprüche, denn in ihnen sind das Problem sowie die Lösung zugleich. Weil wir alle sehr widersprüchliche Wesen sind. Wir brauchen den Widerspruch als ersten Schritt, um herauszufinden, was wir wollen und was wir ablehnen. Was ist das, das dich einschränkt und das du zugleich verehrst? Was verehrst du, aber unterdrückst du auch? Was unterdrückst du, aber eigentlich würde dich das befreien? Was ist das, das dich befreit und zugleich verachtet? Was ist das, das dich verdammt, aber du liebst es? Was liebst du und lehnst es ab?

Im Kino wurde bereits alles erfunden, alles wurde bereits geschrieben und … gemacht. Mein einzig neuer Beitrag ist meine persönliche Sicht auf Dinge, die wir bereits wissen, gesehen oder erfahren haben. Ich beobachte gerne ohne zu bewerten. Ich möchte, dass bei meinen Charakteren innen und außen etwas passiert. Ich will verschnörkelt und klar sein. Ich mag Chaos, aber ich bin methodisch. Ich bin nicht an der Realität interessiert. Ich möchte ein Universum erschaffen, in dem Geschehen glaubwürdig und wiedererkennbar stattfindet. Ich mag gewöhnliche Figuren in außergewöhnlichen Situationen. Ich mag große, kleine und alltägliche Abenteuer. Ich identifiziere mich gerne mit meinen Figuren, ich lege in jede etwas von mir hinein. Ich bin nicht am Offensichtlichen interessiert. Ich suche Schönheit, wo sie niemand vermutet. Ich will, dass die Charaktere in GORDOS attraktiv sind, lebhaft, anmutig, dass man sie mit Freude beobachtet. Ich will, dass wir uns in sie verlieben, dass sie uns verzaubern, dass sie leuchten. Ich wollte keinen hässlichen, schmutzigen, dunklen Film machen. Ich wollte einen ästhetischen, schönen, hellen Film machen.

Ich mag das Kino. Ich mag die Erfahrung, ins Kino zu gehen, mich hinzusetzen und so einen intimen Moment mit anderen zu teilen. Als Regisseur respektiere ich diesen Moment. Mein Engagement fürs Kino ist Engagement für den Kinogänger – ohne meine Prinzipien außer Acht zu lassen, meine Geschichten und meine Art, sie zu erzählen. Aber das Kino ist eine zu teure künstlerische Ausdrucksform, um den Zuschauer zu vernachlässigen. Mehr als drei Jahre sind vergangen, seitdem ich meine erste Notiz aufschrieb. In diesen drei Jahre gab es eine Menge weiterer Aufschriebe und Notizbücher. Drei Jahre harter und aufmerksamer Arbeit, um sicher zu gehen, dass das die Geschichte ist, die ich will, brauche und erzählen kann. Ich glaube nicht an Inspiration. Ich glaube nicht an den Trick des „kreativen Moments“ oder die „große Idee“. Ich glaube an Arbeit, an Herausforderungen, an das ständige Hinterfragen meiner „großen“ und „brillanten“ Ideen. Ich glaube, dass Zeit der beste Verfechter oder Feind einer Geschichte ist. Und das will ich. Geschichten, die die Zeit überdauern, Geschichten, die in meinem Kopf ausharren, bevor ich sie schreibe, und dann in den Köpfen der Zuschauer.