DER
SCHNEE AM KILIMANDSCHARO
Regie - Robert Guédiguian
Robert Guédiguian ist ein französischer Filmregisseur deutsch-armenischer
Abstammung. Sein Vater arbeitete im Hafen von Marseille. Guédiguian
interessierte sich schon früh für Politik und war zeitweise
auch in der Kommunistischen Partei Frankreichs aktiv.
In seiner Heimatstadt Marseille dreht der überzeugte Linke unerschütterlich
Filme über und für die Arbeiterklasse, meistens mit Ariane
Ascaride und Jean-Pierre Darroussin. Er ist einer der Gründer von
AGAT FILMS & CIE – EX NIHILO.
FILMOGRAFIE:
1981 DERNIER ÉTÉ
1984 ROUGE MIDI
1985 KI LO SA ?
1990 DIEU VOMIT LES TIÈDES
1993 L’ARGENT FAIT LE BONHEUR
1995 À LA VIE À LA MORT !
1997 MARIUS UND JEANNETTE (im Arsenal Filmverleih)
1998 À LA PLACE DU COEUR
2000 À L’ATTAQUE
2001 LA VILLE EST TRANQUILLE
2002 MARIE-JO ET SES DEUX AMOURS
2004 MON PÈRE EST INGÉNIEUR
2005 LE PROMENEUR DU CHAMP DE MARS
2006 LE VOYAGE EN ARMÉNIE
2008 LADY JANE
2009 L’ARMÉE DU CRIME
2011 DER SCHNEE AM KILIMANDSCHARO
THEATER:
2000 Le grand Théâtre (Skript: Évelyne Pieiller)
im Théâtre National de Chaillot.
2010 Auschwitz et après (Skript: Charlotte Delbo) im Théâtre
du Rond-Point.
INTERVIEW MIT REGISSEUR ROBERT GUÉDIGUIAN
"Der Klassenkampf ist der Motor der Menschheitsgeschichte" haben
Sie bei der Diskussion nach Ihrem Film gesagt.
Robert Guédiguian: Ein Marx-Zitat ...
... an das Sie glauben?
Manche Menschen besitzen Reichtümer, andere nicht. Das weiß jeder.
Es gibt aber Leute, die das für ganz natürlich halten! Zu Beginn
des 19. Jahrhunderts, als Marx sein
Kommunistisches Manifest schrieb, war das genau so. So gesehen hat sich
die Situation nicht geändert. Ich möchte aber nicht, dass die
Reichtümer der Welt in den Händen einiger weniger liegen, ich
möchte, dass sie allen gehören.
Das bedeutet Kommunismus, das ist eine Erfindung von Marx: Dass der Klassenkampf
nur zum Verschwinden der Klassen führen kann. Das wünsche ich
mir, und in diesem Sinne bleibe ich überzeugt, dass die kommunistische
Idee die bedeutendste der Menschheitsgeschichte ist.
Das Klassenbewusstsein löst sich allerdings auf, haben Sie bemerkt.
In Marseille, wo DER SCHNEE AM KILIMANDSCHARO spielt, vielleicht weniger
als anderswo?
Ja, stimmt, etwas weniger als anderswo. Denn Marseille war immer sehr
volkstümlich, durchmischt, von Einwanderung geprägt. Dennoch
ist das auch in Marseille
feststellbar. Warum gab es denn früher ein so starkes Klassenbewusstsein?
Weil es 3.000
Arbeiter gab, die gleich angezogen waren, wie in Uniform, mit kräftigen
Arbeitergesichtern und von der Arbeit zerschundenen Händen, und
alle kamen zur selben Uhrzeit aus derselben Fabrik. Da war es leicht,
sich zur selben Klasse zugehörig zu fühlen!
Heute ist alles zersplittert, manche Arbeiter tragen weiße Hemden,
weil sie Angestellte sind,
andere arbeiten halbtags, mit verschobenen Arbeitszeiten. Es gibt eine
ganze Reihe von
Phänomenen, die bewirken, dass die Welt der Arbeiter, der Angestellten,
der "armen Leute", wie ich oft sage, so fragmentiert erscheint.
Empfinden Sie eine starke Leidenschaft für Marseille, oder warum
spielen die meisten Ihrer Filme dort?
Erst einmal, weil ich dort geboren bin. Es macht einfach Spaß,
in seiner Heimat zu drehen, dorthin zurückzukehren, weil ich ja
seit 30 Jahren in Paris lebe. Marseille ist - wie alle großen Häfen
- auch ein Sammelbecken für Fiktion. Im Hafen kann man einen Haufen
Geschichten finden! Wegen der vielen Begegnungen, wegen des Handels,
wegen der Abfahrten und Ankünfte.
Außerdem bin ich davon überzeugt, dass man an jedem Ort der
Welt jede Geschichte erzählen kann. Ich tue es aber in Marseille.
Weil ich zeigen will, dass in Marseille alles möglich ist. Genauso
wie auch in Wien natürlich! Die Gefühle, die Leidenschaften,
die Geschichten von Leben und Tod, der Liebe, der Freundschaft, vom Glück
- die sind ja überall gleich. Es ist aber doch interessant, dass
immer mehr Filmemacher vor ihrer Haustür drehen.
Das Kino ist international unter der Bedingung, dass es lokal stark verankert
ist. Mit Tschechow bin ich der Meinung, dass man von seinem Dorf sprechen
muss, wenn man zur ganzen Welt sprechen will.
Der Beginn von DER SCHNEE AM KILIMANDSCHARO wirkt wie ein Werbefilm
für die Gewerkschaft CGT. Sicherlich war das keine Absicht.
Am Hafen von Marseille dominiert die CGT. Außerdem ist sie bis
heute die größte Gewerkschaft Frankreichs. Wenn man also etwas
zum Gewerkschaftswesen im Allgemeinen erzählen will, glaube ich,
dass es besser ist, von der CGT zu reden. Auch ist die CGT am längsten
der Kommunistischen Partei verbunden gewesen. Sie ist eine Klassen-Gewerkschaft
und nicht eine Gewerkschaft der Klassen-Kollaboration wie andere Gewerkschaften.
Manche sagen aber, die CGT habe durch ihre endlosen Streiks den Hafen
kaputt gemacht. Stimmen Sie zu?
Nein. Die Arbeitgeber haben den Hafen kaputt gemacht. Das ist ja, als
würde man sagen, die Demonstranten in Griechenland sind für
die Verschuldung verantwortlich.
Ihr Vater war selber Hafenarbeiter. Wie viele Hafenarbeiter gibt es
heute noch?
Sehr wenige. Vielleicht noch 1.000 in ganz Frankreich und 400 in Marseille.
Sie waren lange Mitglied der Kommunistischen Partei. Warum sind Sie
ausgetreten?
1980. Ich war einfach mit der strategischen Ausrichtung nicht mehr einverstanden.
Damals hat die Partei die Union mit der Linken, mit Francois Mitterand, über
den ich übrigens auch einen Film gemacht habe, gebrochen. Ich fand,
dass das nicht hätte geschehen dürfen.
Stört es Sie, wenn man sagt, DER SCHNEE AM KILIMANDSCHARO ist ein
Märchenfilm?
Nein. Ich habe sogar ein paar Filme gemacht, die "Märchen aus
L'Estaque" hießen. L'estaque, das ist das Viertel in Marseille,
aus dem ich stamme. Um die Zuschauer zu warnen, dass ich die Wirklichkeit
ein wenig zu einem guten Ende umbiege. Das Kino muss auch Märchen
erzählen. Es ist ein Märchen, aber eines, das möglich
ist! Wie ein Wachtraum.
Sie empfinden sich Aki Kaurismäki und den Brüdern Dardenne,
deren Filme auch an der Viennale zu sehen sind, sehr verbunden. Inwiefern?
Das klingt vielleicht wie ein Scherz, aber wir sind wie die 5. Internationale
des
Kinos. Mit Nanni Moretti übrigens. Wir sind einfach ausgeprägte
Linke mit einer sehr ähnlichen Sensibilität. Kaurismäki
ist wie mein finnischer Cousin. Moretti hat meinen letzten Film gekauft,
der in seinen Kinos gezeigt wird.
In sechs Monaten stehen in Frankreich Präsidentschaftswahlen an.
Wie hat Nicolas Sarkozy das Land verändert?
Das lässt sich schnell zusammenfassen: Er hat es unter dem Druck
der Ereignisse verändert. Das heißt, als er Präsident
wurde, ist alles, was er getan hat, durch die Krise wieder in Frage gestellt
worden. Grosso modo war alles, was er gemacht hat, sehr liberal. Heute
macht er das Gegenteil, weil seit 2008 die Krise so groß ist, dass
Merkel und Sarkozy Ideen haben, die vor 20 Jahren als Ideen der extremen
Linken gegolten hätten. Die Steuer auf Finanztransaktionen ist eine
Erfindung der extremen Linken. Und Merkel und Sarkozy sind dabei, sie
auf europäischer Ebene umzusetzen!
Das Interview führte Alexander Musik, ORF.at
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