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DAS BLAUE ZIMMER

MATHIEU AMALRIC, Regie und Hauptrolle

Mathieu Amalric wurde am 25. Oktober 1965 geboren und lebt in Paris. Dank Otar Losseliani entdeckt er das Kino. Er hat als Regieassistent, Schnittassistent und Regisseur für Louis Malle, Danièle Dubroux, Peter Handke, Alain Tanner, J.C.Monteiro oder Romain Goupil gearbeitet, und drehte dabei eigene Kurzfilme.
1991 lernt er Arnaud Desplechin beim Angers Premier Plans Filmfestival kennen, der ihn zum Schauspielern einlädt. Seitdem macht er beides

Filmographie, Regie

DAS BLAUE ZIMMER – 2013
Next to Last (1963) (Kurzfilm) - 2013
Sfar (TV Dokumentation) - 2011
L’illusion comique (TV) - 2010
Tournée- - 2010
La chose publique (TV) - 2003
Wimbledon Stage - 2001
Mange ta soupe - 1997
8bis (Kurzfilm) - 1994
Staring at the Ceiling (Kurzfilm) - 1992
Sans Rires (Kurzfilm) - 1990
Marre de café (Kurzfilm) – 1984

Schauspieler (Auszug)

The Grand Budapest Hotel von Wes Anderson - 2014
Venus im Pelz von Roman Polanski - 2013
Love is the Perfect Crime von Arnaud und Jean-Marie Larrieu - 2014
Jimmy Picard von Arnaud Desplechin - 2013
Ihr werdet euch noch wundern von Alain Resnais - 2012
Cosmopolis von David Cronenberg - 2012
Huhn mit Pflaumen von Marjane Satrapi - 2011
Wild Grass von Alain Resnais - 2009
Schmetterling und Taucherglocke von Julian Schnabel - 2008
Public Enemy Nr. 1 – Todestrieb von Jean-François Richet - 2008
Ein Quantum Trost von Marc Forster - 2008
A Christmas Tale von Arnaud Desplechin - 2007
Ein Geheimnis von Claude Miller - 2007
The Very Big Appartment von Pascal Thomas - 2006
Actrices – oder der Trauma aus der Nacht davor von Valeria Bruni Tedeschi - 2006
München von Steven Spielberg - 2005
The false Servant von Benoît Jacquot - 1999
Ende August, Anfang September von Olivier Assayas - 1998
Alice et Martin von André Téchiné - 1998
Genealogien eines Verbrechens von Raúl Ruiz - 1996
Das Tagebuch des Verführers von Danièle Dubroux - 1995
Comment je me suis disputé…(ma vie sexuelle) von Arnaud Desplechin - 1996
Die Günstlinge des Mondes von Otar Iosseliani - 1984


INTERVIEW MIT MATHIEU AMALRIC

War die Schwere oder die innewohnende Langsamkeit des Stoffes Ihrer Stendhal- Adaption von „Schwarz und Rot“ der Auslöser für den schnellen Dreh von DAS BLAUE ZIMMER?
Nein, das lag einfach daran, dass ich beim Dreh von „Venus im Pelz) von Roman Polanski Paulo Branco auf der Straße getroffen habe. Branco spürte, wie ein Wahrsager, dass ich für Stendhal Jahrhunderte brauchen würde. Das berührt einen sehr, wenn jemand zu einem sagt: „Mach was, dreh einfach! Willst Du nicht einfach etwas in drei Wochen erzählen?“ Zuhause suchte ich nach einem Stück, und da war‘s. Wir haben alle ein Buch von Simenon, dass wir mal in einem Ferienhaus von jemandem gelesen haben. Ich weiß nicht mehr, von wem ich es habe, von wem ich es geklaut habe. Das Buch hatte ich bereits für „Tournée“. Im Drehbuch hatten wir die letzte Szene „Im blauen Zimmer“ genannt und da waren: Ein Mann und eine Frau in einem Hotelzimmer, nach dem Liebemachen. Was bleibt im Leben letztendlich außer zwei Körper, die voneinander angezogen sind?

Es ist überraschend, dass DAS BLAUE ZIMMER auf „Tournée“ folgt. Es hätte hätte auch ein Film sein können, der das Gegenteil des quasi dionysischen Films „Tournée“ wäre, der das Loslassen und die Bewegung rühmt.
Daran habe ich überhaupt nicht gedacht. Es ging eher um den Roman, der mich schon seit langem verfolgte, von Simenon, der voller Tempo schrieb. Das lud mich dazu ein, selbst schnell zu drehen.
Was mir auch gefiel, war die Vermischung von heiß und kalt, und was Männer verrückt macht: eine undurchschaubare Frau. „Ich hielt sie irrtümlich für eine kalte, hochmütig Frau, für eine Statue.“ Da öffnen sich die Abgründe der Sexualität und der Anziehung, die unaussprechlich sind. Das ist das Faszinierende an Simenon, dass er dazu gezwungen war, alles in Worte zu fassen.
Als Simenon den Roman 1963 im schweizerischen Epalinges schrieb, war er in einer Phase der permanenten Selbstzerfleischung nach dem Motto „Frauen sind alle Hexen, ich hätte das nicht tun sollen.“ Es ist ein Roman, der Sexualität bestraft – oder seine eigene überbordende Sexualität. Und das versuchte ich mit Stéphanie Cléau, mit der ich den Roman adaptierte, auszuradieren.
Daneben gab es das einfache Vergnügen am „Whodunit“, wer tötete wen? Wer ist tot? Und von da aus rückwärts zu gehen.

Genau diese komplexe Erzählstruktur, die wie ein Mosaik erscheint, trägt wohl nicht dazu bei, den Film in einer kurzen Zeit zu machen, besonders beim Schnitt.
Bereits als wir das Drehbuch mit zwei Spalten schrieben, wollten wir, dass Ton und Bild im Krieg miteinander stehen, was zu einer besonderen Erzählform führt. Deshalb schaffte ich es, die meistmögliche Zeit fürs Schneiden zu haben.
Da wir in zwei Teilen im Juli und November drehten, ermöglichte der Zeitplan, dass wir dazwischen mit dem Schneiden anfangen konnten. Vor allem mussten wir im Vorfeld arbeiten, mit einer guten Vorbereitung. Dabei war die Ermittlungsakte eine große Hilfe, wir habe eine echte Akte erstellt, die wir mithilfe von forensischen Wissenschaftlern aktualisierten, im Vergleich zu dem was 1963 möglich war.

Wann entschieden Sie sich für das 1:1,33 Format?
Ein Format, das die Amerikaner das klassische Seitenverhältnis nennen, das in Vergangenheit geraten war, bevor Gus Van Sant mit „Elephant“ und Wes Anderson mit „The Grand Budapest Hotel“ es wiederbelebten. Das war sehr früh. Im BLAUEN ZIMMER geht es um einsame und verhinderte Charaktere. Ich wusste, dass es keine Kamerabewegungen geben würde, die sie miteinander verbinden könnte. Sogar in den Liebesszenen, wo wir uns eher Erinnerungen hingeben als uns auf sinnliche Erlebnisse einzulassen. Da gibt es weder Sinnliches noch Zärtlichkeit, das lässt keine Virtuosität zu. Die Rundumblicke sind nicht angebracht, wenn die Atmosphäre so frostig ist.

Nicht jeder benutzt es zu diesem Zweck, aber hier dient das 1:1,33 Format dem Ausdruck der Isolation, des Gefangenseins.
Mit Christophe Beaucarne, dem Kameramann, fragten wir uns nach einigen Tests, ob wie Cinemascope oder 1:1,33 nutzen sollten. Schnell landeten wir bei letzterem. Christophe fand, dass es das Auge reinigt. Wir leben in einer Zeit, in der alles gestreckt wird, wir müssen uns nur die Größe der Postkarten angucken, die jetzt verkauft werden. Deshalb wollten wir die gegensätzliche Perspektive. Außerdem schien Cinemascope nicht der Beziehung zu entsprechen.

Wussten Sie beim gemeinsamen Schreiben mit Stéphanie Cléau schon, dass die Rollen von Esther und Julien von Ihnen beiden verkörpert werden würden?
Stéphanie hat viele Romane fürs Theater umgeschrieben, sie ist überhaupt keine Schauspielerin, sie ist sogar das Gegenteil einer Schauspielerin – bereits wenn sie fotografiert wird, ist das für sie eine Qual. Und das interessierte mich. Diese Frau, von der wir nicht wissen, wer sie ist, sie verkörpert die Bedrohung durch das Unbekannte. Da ich Julien selbst darstellte, sollte die offizielle Ehefrau ebenfalls eine offizielle Schauspielerin sein. Wenn die Geliebte ebenfalls ein bekanntes Gesicht wäre, würde das, wie immer, eine Rivalität zwischen den beiden Schauspielerinnen hervorrufen, die ich nicht wollte.
Und es gab dieses Spiel zwischen uns als Paar: Wir spielen Geliebte während wir seit neun Jahren zusammenleben – das wieder etwas mit dem Unaussprechlichen zu tun.